Rezension zum Lexikon des Dialogs – Grundbegriffe aus Christentum und Islam

von Esma Isis-Arnautovi?

Der interreligiöse Dialog ist vom Leitgedanken geprägt, Beteiligten verschiedener Religionen und Kulturen vertiefte Kenntnisse über die jeweils andere Religion zu vermitteln und eine Gesprächsgrundlage zu bieten. Wer sich bereits einmal im Religionsdialog engagiert hat, weiss aus Erfahrung, dass dabei oft nicht nur sprachliche Hindernisse zu überwinden sind, sondern auch das religionsspezifische Vorverständnis gewisser Begriffe und Konzepte das gegenseitige Verstehen erschwert. Oft drücken selbst sprachliche Äquivalente nicht dasselbe aus oder weisen unterschiedliche Konnotationen auf. Um essentielle Sachverhalte begrifflich zu fassen, fehlt im Religionsdialog vielfach die Terminologie, die eine adäquate Übersetzung ermöglicht. Um diesem Problem entgegenzuwirken hat die Eugen-Biser-Stiftung ein Sachlexikon erarbeitet, das religiöse Begrifflichkeiten klären und so eine Grundlage für den Dialog schaffen soll.

Entstanden ist ein zweibändiges Werk mit rund 660 Grundbegriffen, die von wissenschaftlichen Experten aus Christentum und Islam aufbereitet wurden. Das Lexikon trumpft insbesondere dadurch auf, dass die jeweiligen Begriffe nacheinander aus christlicher respektive islamischer Perspektive erläutert werden und so unmittelbar aufeinander folgen. Dies erspart eine mühsame und zeitintensive Suche nach dem jeweiligen Pendant aus der anderen Religion. Obwohl die Artikel für sich stehen und religionswissenschaftliche Kommentare fehlen, schafft diese Darstellungsweise dennoch eine Vergleichbarkeit und verdeutlicht dem Leser Parallelen sowie Differenzen. So wird beispielsweise Offenbarung im islamischen Beitrag als Mitteilung Gottes beschrieben, die den Menschen durch erwählte Propheten vermittelt wird und ihre Vollendung im Koran findet. Nach christlichem Verständnis hingegen ist Offenbarung die göttliche Selbstmitteilung, die ihren Höhepunkt in der Menschwerdung Gottes in der Person Jesu Christi findet. Damit wird der Fokus von der weit verbreiteten Vergleichsbasis Koran – Bibel hin zu einer Gegenüberstellung Koran – Jesus verschoben.

Das Lexikon erschien in deutscher sowie türkischer Sprache, wobei die Begriffe zum Christentum ausschliesslich von christlichen Autoren deutscher Universitäten verfasst wurden. Die Beiträge zum Islam hingegen stammen von muslimischen Autoren, die mehrheitlich an der theologischen Fakultät der Universität Ankara angesiedelt sind. Dies schlägt sich in den Texten dahingehend nieder, dass sie überwiegend aus einem sunnitischen Verständnis heraus verfasst wurden. Da die Auslegung und Deutungshoheit der Begriffe den Vertretern der jeweiligen Religionsgemeinschaft überlassen wurde, konnten die Termini theologisch von innen heraus erarbeitet werden, was dem Werk als weitere rare Besonderheit zugutekommt. Nichtsdestotrotz drängt sich die Frage auf, ob es sich hierbei nicht doch um eine importierte Theologie handelt und inwiefern muslimische Wissenschaftler in Deutschland dieselben theologischen Positionen vertreten.

Gleichzeitig verdeutlicht das Lexikon aber durchaus häufig vertretene Sichtweisen. Beispielsweise wird Abraham im christlichen Beitrag vor allem als Integrationsfigur der drei monotheistischen Religionen thematisiert und seine historische Realität kritisch hinterfragt. Im islamischen Eintrag wird Ibrahim hingegen als wichtige religiöse Identifikationsfigur präsentiert, deren reale historische Existenz gar nicht erst thematisiert wird. Allerdings vermögen nicht alle Artikel die Erwartungen des Lesers zu erfüllen. Zum Beispiel wird im islamischen Beitrag zur Kleiderordnung lediglich der Zweck der Bekleidung als Bedeckung der Scham sowie deren ästhetische Dimension besprochen. Wer nach einem konstruktiven Beitrag über das Kopftuch sucht, wird enttäuscht – und dies, obwohl unter dem (leeren) Eintrag Hijab ein Verweis auf die Kleiderordnung gegeben ist, der dann aber ins Leere läuft. Hingegen bietet der Eintrag über die Aschariten einen fundierten Überblick über deren Entstehungsgeschichte, Lehre und Wirken sowie Abgrenzungsmerkmale zu anderen theologischen Schulen.

Am Ende eines jeden Artikels findet sich jeweils ein Verweis zu anknüpfenden und weiterführenden Beiträgen. Leider fehlen Angaben zur verwendeten Literatur, so dass nicht ersichtlich ist, auf welche Werke sich die Beiträge stützen. Eine bescheidene, zweiseitige Bibliographie findet sich ganz am Ende des Lexikons. Diese Liste besteht jedoch vorwiegend aus Enzyklopädien, welche den Fachpersonen wohl bekannt sind, deren Zugänglichkeit für das praxisbezogene Publikum wie Pfarrer, Imame oder Lehrer kaum gewährleistet ist. Mit Blick auf die Praxis wären bibliographische Angaben direkt im Anschluss an den jeweiligen Artikel, welche die Nachvollziehbarkeit und weiterführende Recherche erleichtern würden, durchaus wünschenswert.

Zwar ist das Lexikon des Dialogs nicht umfassend, doch bietet es einen guten Überblick über theologische Begrifflichkeiten aus Christentum und Islam. Insbesondere stellt es angesichts gesellschaftsaktueller Themen wie Migration und Integration eine solide Grundlage dar, um miteinander ins Gespräch zu kommen.

Heinzmann, Richard (Hrsg.): Lexikon des Dialogs. Grundbegriffe aus Christentum und Islam, im Auftrag der Eugen-Biser-Stiftung, in Zusammenarbeit mit Peter Antes, Martin Thurner, Mualla Selçuk und Halis Albayrak, 2 Bände, Freiburg/Basel/Wien: Verlag Herder GmbH 2013, 851 Seiten, ISBN 978-3-451-30684-6.

Haut ab!

So der Titel eines Essays von Alfred Bodenheimer zur Beschneidungsdebatte im letzten Jahr. Der Basler Professor für Religionsgeschichte und Literatur des Judentums interpretiert klug, belesen und weitsichtig die (juristischen) Argumente der Beschneidungsgegner, und die nicht immer schlüssige und überzeugende jüdischen Antwortversuche. Der Doppeldeutige Titel spielt mit dem Abschneiden der Haut und dem Abhauen aus dem Land. Auch wenn sich Bodenheimer weitgehend auf die jüdischen Aspekte konzentriert, und nur ganz am Rande den Islam ins Blickfeld nimmt, lässt sich vieles mit Gewinn lesen punkto Frage auch von muslimsicher Präsenz in der Schweiz und Europa. Stichworte: • Religiöse Erziehung wird zunehmend als unzulässige Manipulation von Kindern kritisiert. Dabei kaprizieren sich die Debattenführer auf Äusserlichkeiten, Riten, Brauchtum – und blenden ideologisch-mainstreammässige Prägungen aus. Es wird massiv Druck ausgeübt, um jegliche Differenz(ierung)en zu nivellieren; dieser Druck ist oft grösser als der kritisierte „Druck“ von Eltern auf Kinder, wenn diese einzig die eigene ererbte Identifikation zu übermitteln suchen. Es findet gewissermassen ein Art Kolonialisierung statt: Religionsfreiheit ist keine Freiheit mehr zur Differenz, sondern nur in eine Richtung offen – in Richtung (unreflektierter) Mehrheitsmeinung. • Selbstverständnis religiöser Gruppierungen und Zuschreibung von aussen unterscheiden sich oft erheblich. Es findet keine wirkliche Debatte statt, sondern ein Enteignungsdiskurs. Die Mehrheit definiert, wie die Minderheit denkt und tickt. Da keine Gemeinde/Gesellschaft 100% einheitlich denkt, ist es unredlich, mit verschwindend kleinen Gegenmeinungen zu argumentieren (im Stil von: Es gibt auch Muslime, die für ein Minarett-Verbot sind; es gibt auch Juden, die ihre Söhne nicht beschneiden)… Mit seinem Essay will Bodenheimer anschreiben gegen die Bedenkenlosigkeit von Meinungsführern und gegen die Sprachlosigkeit der In-Kritik-Geratenen. Einiges davon ist übertragbar auf andere religiöse Minderheiten. Argumentiert wird ja meist mit „Menschenwürde“ – diese aber ist just am fragilsten, wo es um die Frage nach dem Respekt dem andern gegenüber geht, wo der andere eben anders ist, und anders bleiben will. Für das Diaspora-Judentum ein Modell auch „defensiver Religionsausübung“ mit Verzicht auf Durchsetzungsmacht. Hier wäre, das ist kein Thema mehr der Streitschrift, die reziproke Anfrage an muslimische Länder / Gesellschaften im Umgang mit dem Andern, der Minderheit(en).

Thomas Markus Meier