So der Titel eines Essays von Alfred Bodenheimer zur Beschneidungsdebatte im letzten Jahr. Der Basler Professor für Religionsgeschichte und Literatur des Judentums interpretiert klug, belesen und weitsichtig die (juristischen) Argumente der Beschneidungsgegner, und die nicht immer schlüssige und überzeugende jüdischen Antwortversuche. Der Doppeldeutige Titel spielt mit dem Abschneiden der Haut und dem Abhauen aus dem Land. Auch wenn sich Bodenheimer weitgehend auf die jüdischen Aspekte konzentriert, und nur ganz am Rande den Islam ins Blickfeld nimmt, lässt sich vieles mit Gewinn lesen punkto Frage auch von muslimsicher Präsenz in der Schweiz und Europa. Stichworte: • Religiöse Erziehung wird zunehmend als unzulässige Manipulation von Kindern kritisiert. Dabei kaprizieren sich die Debattenführer auf Äusserlichkeiten, Riten, Brauchtum – und blenden ideologisch-mainstreammässige Prägungen aus. Es wird massiv Druck ausgeübt, um jegliche Differenz(ierung)en zu nivellieren; dieser Druck ist oft grösser als der kritisierte „Druck“ von Eltern auf Kinder, wenn diese einzig die eigene ererbte Identifikation zu übermitteln suchen. Es findet gewissermassen ein Art Kolonialisierung statt: Religionsfreiheit ist keine Freiheit mehr zur Differenz, sondern nur in eine Richtung offen – in Richtung (unreflektierter) Mehrheitsmeinung. • Selbstverständnis religiöser Gruppierungen und Zuschreibung von aussen unterscheiden sich oft erheblich. Es findet keine wirkliche Debatte statt, sondern ein Enteignungsdiskurs. Die Mehrheit definiert, wie die Minderheit denkt und tickt. Da keine Gemeinde/Gesellschaft 100% einheitlich denkt, ist es unredlich, mit verschwindend kleinen Gegenmeinungen zu argumentieren (im Stil von: Es gibt auch Muslime, die für ein Minarett-Verbot sind; es gibt auch Juden, die ihre Söhne nicht beschneiden)… Mit seinem Essay will Bodenheimer anschreiben gegen die Bedenkenlosigkeit von Meinungsführern und gegen die Sprachlosigkeit der In-Kritik-Geratenen. Einiges davon ist übertragbar auf andere religiöse Minderheiten. Argumentiert wird ja meist mit „Menschenwürde“ – diese aber ist just am fragilsten, wo es um die Frage nach dem Respekt dem andern gegenüber geht, wo der andere eben anders ist, und anders bleiben will. Für das Diaspora-Judentum ein Modell auch „defensiver Religionsausübung“ mit Verzicht auf Durchsetzungsmacht. Hier wäre, das ist kein Thema mehr der Streitschrift, die reziproke Anfrage an muslimische Länder / Gesellschaften im Umgang mit dem Andern, der Minderheit(en).
Thomas Markus Meier